schillingnews flash 1 | 2024 – Angesichts wachsender Defizite und steigender Kosten in Spitälern geraten klassische Führungsstrukturen unter Druck. Ist medizinisches Fachwissen oder Management-Know-how das beste Rüstzeug für die CEO-Position? Eine differenzierte Betrachtung zeigt: Der Schlüssel liegt in einer interdisziplinären Führung, die sich sowohl auf hohe Versorgungsqualität als auch auf wirtschaftliche Stabilität fokussiert.
Seit längerem befindet sich die Spitalbranche mit enormen finanziellen Herausforderungen konfrontiert. Kaum ein Spital generiert die geforderte 10%-EBITDA-Marge, geschweige denn einen Gewinn. Viele stecken aufgrund von Investitionen in neue Bauten und IT, der unzureichenden Finanzierung, schwankender Auslastung, der Verlagerung von stationär zu ambulant und dem Fachkräftemangel in grossen Defiziten. Zudem steigen die Betriebskosten, während die Tarife stagnieren. Worüber sich alle einig sind: Es braucht substanzielle Veränderungen im Gesundheitswesen und bis diese greifen, ein Umdenken im Spitalmanagement.
Angesichts dieser Herausforderungen richtet sich der Blick verständlicherweise schnell auf die Geschäftsführung, wenn es um die Suche nach Lösungen geht. Auch wenn CEOs die Herkulesaufgaben der Spitäler nicht allein bewältigen, sind sie doch wichtige Impulsgeber. Die Diskussion um das optimale Profil für die Führung von Spitälern ist in der Schweiz längst entbrannt: Sollte ein/e erfahrene/r Mediziner/in das Ruder innehaben, der/die sich mit dem Kerngeschäft der Patientenbehandlung und den Abläufen im Spital bestens auskennt? Oder ist eine Managerpersönlichkeit gefragt, die mit betriebswirtschaftlichem Know-how und stetem Blick auf die Kosten die Herausforderungen effizient meistert?
2023 hat schillingpartners die Führungsebene der 60 grössten Schweizer Spitäler1 detailliert analysiert. Dabei zeigt sich, dass rund 45 % der Geschäftsleitungsmitglieder einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund haben, während knapp 25 % Mediziner/innen sind. Ein Blick nach Deutschland zeigt Ähnliches – mit Ausnahme der Universitätskliniken. Deren Zusammensetzung der Vorstände sind auf Bundeslandebene gesetzlich geregelt: In den meisten Bundesländern muss der/die ärztliche Direktor/in den Vorstandsvorsitz übernehmen. Unsere diesbezüglichen Recherchen haben gezeigt, dass dies auf 70% der 38 deutschen Unikliniken zutrifft. In den übrigen über 1900 Spitälern (destatis 20232) haben die CEOs vielfältigere Ausbildungshintergrüde. Eine Untersuchung aus dem Jahr 20203 mit einer Stichprobe von knapp 500 deutschen Krankenhäusern zeigt, dass knapp 20% der CEOs einen medizinischen Abschluss besitzen, während 59 % einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund vorweisen.
In der Schweiz und Deutschland sind in den CEO-Positionen der Spitäler Nicht-Mediziner/ innen stärker vertreten als Mediziner/ innen. Doch von welcher Berufsgattung werden die weltweit besten Spitäler geführt? Ein Blick auf internationale Spitalrankings zeichnet ein interessantes Bild. Besonders hervorzuheben sind hier die jährlichen Rankings von «Newsweek», dem «U.S. News & World Report» sowie die jüngere deutsche Ausgabe der «stern-Kliniklisten». Diese Rankings dienen als Massstab für Krankenhausqualität und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.
Newsweek4 stützt sich auf Patientenumfragen, Expertenmeinungen, Qualitätsindikatoren wie z.B. die Sterblichkeits- und Komplikationsrate sowie die in einem ersten Schritt erstellten nationalen Rankings. Nicht alle dieser Faktoren werden für die Berechnung der Punkte gleich stark gewichtet, so fallen Empfehlungen von Experten mit 45% und Qualitätsindikatoren mit 35% am stärksten ins Gewicht. In diesem Jahr zählen drei Schweizer Universitätsspitäler zu den Top 10 der europäischen Spitäler (Universitätsspital Zürich, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois und Universitätsspital Basel), die alle momentan oder kürzlich einen Wechsel an der Spitze vollziehen/vollzogen. Global gesehen haben die 10 besten Spitäler in 7 Fällen eine medizinische Spitze, in 2 Fällen einen Naturwissenschaftler und eines eine CEO mit einem politikwissenschaftlichen Abschluss. Betrachtet man die 10 bestrangierten Spitäler in Europa, befindet sich bei 5 davon ein/e Mediziner/in an der Spitze, die anderen 5 CEOs verfügen über einen natur- bzw. sozialwissenschaftlichen Abschluss.
Der U.S. News & World Report5 fokussiert hingegen ausschliesslich auf Spitäler in den USA und bewertet deren Qualität in Bezug auf verschiedene Einflussfaktoren. Zur Ermittlung der Qualität werden Ergebnisindikatoren, Patientenerfahrungen und Prozessqualität, welche von Experten bewertet werden, herangezogen. Nur Krankenhäuser, die in mehreren Bereichen Spitzenleistungen erbringen, schaffen es in die «Honor Roll». Von den 20 Spitälern auf der «Honor Roll» 2024 haben 14 der CEOs eine medizinische Ausbildung und 6 CEOs eine sozialwissenschaftliche Ausbildung.
Die stern-Klinikliste6 umfasst eine Top 100 Liste der deutschen Krankenhäuser, welche in Zusammenarbeit mit dem Rechercheinstitut Munich Inquire Media (MINQ) erstellt wird. Das Ranking wird primär nach Fachrichtungen erstellt und auf Basis der Fachbereichslisten wird in einem weiteren Schritt ein Gesamtranking erstellt. Die medizinische Qualität trägt mit 70% am meisten Gewicht und wird anhand von Interviews mit Ärzten, veröffentlichten Qualitätsberichten sowie Fragebögen, welche durch das jeweilige Klinikpersonal auszufüllen sind, ermittelt. Des Weiteren wird die Patientenzufriedenheit bei dem Ranking miteinbezogen, hierzu werden die «Weissen Listen» der Krankenkassen herangezogen. Unter den Top 10 der Liste 2024 befinden sich ausschliesslich Universitätskliniken, weswegen fast alle Vorstandsvorsitzende gemäss gesetzlicher Verankerung Mediziner/innen sind. Die einzige Ausnahme stellt die Charité Berlin dar, deren CEO Prof. Dr. Heyo K. Kroemer promovierter Naturwissenschaftler ist.
Alle drei Rankings legen ihren Schwerpunkt auf die Versorgungsqualität und die Breite des Leistungsspektrums, lassen dabei aber die finanzielle Performance der Spitäler ausser Acht. Somit sagen diese Rankings nichts über die wirtschaftliche Tragfähigkeit aus. So hat beispielsweise jedes der Top-10-Newsweek-Spitäler 2024 in den letzten 3 Geschäftsjahren mindestens ein Jahr mit einem Verlust abgeschlossen, den Rekordverlust verbuchte die Berliner Charité 2023 mit einem Defizit von EUR 135 Mio.! Die hohe Anzahl Mediziner/innen-CEOs in den hochklassifizierten Spitälern ist ein Indiz für deren Fokus auf eine hohe medizinische Qualität, ggf. auch auf Kosten der Rentabilität. Somit lassen sich aus der Analyse der CEOs hochklassifizierter Spitäler kaum Schlüsse ziehen über die am besten geeignete Führungsperson. In unseren Gesprächen mit Spitalräten und amtierenden CEOs diskutieren wir immer häufiger die Frage, was gesamtheitlich gesehen eine erfolgreiche Spitalführung ausmacht.
Leistungsangebote, Qualität und finanzielle Stabilität müssen bei der Spitalführung Hand in Hand gehen – doch welche Kompetenzen sind dafür in der Geschäftsführung entscheidend, und welchen Einfluss haben Faktoren wie regulatorische Rahmenbedingungen, die Interdisziplinarität der Belegschaft und die kontinuierliche Fokussierung auf die Patientensicherheit eines Spitals? Die CEO-Besetzungen, die wir in den letzten 2 Jahren begleiteten, zeigten, dass ein/e CEO Führungsstärke braucht, um strategische Weichenstellungen vorzunehmen und die Fähigkeit, ein Unternehmen erfolgreich zu lenken. Im Kontext eines Spitals kommen jedoch besondere Herausforderungen hinzu. Ein Spital ist komplex und deren Führung erfordert nicht nur betriebswirtschaftliches Know-how, sondern auch ein tiefgehendes Verständnis für medizinische Abläufe und Patientenbedürfnisse. Dazu kommen komplexe Vergütungsstrukturen, die Pflicht, Vorhalteleistungen zu erbringen, stetige Verhandlungen mit Kostenträgern und Veränderungen im regulatorischen Umfeld (Stichwort AVOS, EFAS), Digitalisierung etc.
Ob ein/e Mediziner/in oder ein/e Betriebswirt/ in ein Spital besser führen kann, hängt von der Kombination ihrer Kompetenzen ab. Ein/e Mediziner/in mit Managementerfahrung bringt tiefes Verständnis für medizinische Abläufe und Patientenbedürfnisse mit, während ein/e Betriebswirt/in, der/die das Spitalumfeld gut kennt, die strategischen und finanziellen Herausforderungen effektiv meistern kann. Entscheidend ist nicht das einzelne Profil, sondern die ausgewogene Kombination aus medizinischer und betriebswirtschaftlicher Expertise in der Spitalleitung, die im Team vereint wird. Eine entscheidende Qualifikation von CEOs ist demnach die fundierte Berufserfahrung in einem Spital.
Trotz der Bedeutung dieser Expertise werden CEO-Positionen in Spitälern selten intern besetzt, obwohl dies auf den ersten Blick naheliegend erscheint: Unsere detaillierte Untersuchung der Führungsebene der 60 grössten Schweizer Spitäler im Jahr 2023 zeigte, dass zwei von drei Geschäftsleitungspositionen extern besetzt werden. Dies deutet auf ein ungenutztes Potenzial in der internen Nachfolgeplanung hin, jedoch ist die Situation im Spitalwesen anders zu bewerten als in anderen Branchen, in denen gemäss schillingreport (Untersuchung der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber) zwei Drittel der CEOPositionen intern besetzt werden. Während Unternehmen vergleichbarer Grösse aus anderen Branchen häufig über klar definierte Talent-Pipelines verfügen, in denen z. B. Geschäftsbereichsleiter/ innen auf spätere Führungsrollen vorbereitet werden, sind die Strukturen in Spitälern weniger auf diese Art der internen Karriereentwicklung ausgelegt. Ein entscheidender Punkt ist das Fehlen von ausreichend qualifizierten Unternehmensentwicklern/ innen in den unteren Führungsebenen. Während in der Industrie solche Profile gezielt aufgebaut werden, fehlen in Spitälern oft die Strukturen und Programme, um Führungskräfte systematisch auf höhere Managementrollen vorzubereiten. Interne Berufsgruppen, die für die CEO-Position in Frage kommen, gibt es eigentlich genug: sowohl CFOs, wie auch die Pflegeleitung/CNOs als auch die CMOs oder die Leiter/innen Betrieb etc. bringen die Voraussetzungen mit, sofern sie in ihrer bisherigen Laufbahn Verantwortung für Projekte ausserhalb des eigenen Verantwortungsbereichs übernehmen konnten. Somit liesse sich die interne Besetzungsquote deutlich erhöhen.
Ferner hat unsere Analyse gezeigt, dass fast alle Schweizer Spitäler einen oder mehrere Chefärzte in der Geschäftsleitung haben, aber nur rund 50 % über einen klar designierten Chief Medical Officer (CMO) verfügen. Die Vertretung mehrerer Chefärzte/Chefärztinnen in der GL birgt die Gefahr des Silodenkens. Ein/e CMO kann die gesamtmedizinische Strategie optimal definieren und koordinieren. Er/Sie kann den/die CEO in diesem zentralen Bereich effektiv unterstützen und sicherstellen, dass die medizinische Perspektive eng in die strategische Ausrichtung des Spitals eingebunden ist.
Das Erfolgsrezept für die ideale Besetzung der CEO-Position in Spitälern hängt von sehr vielen Faktoren ab. In jedem Fall ist eine multidisziplinäre Geschäftsleitung wichtig, die verschiedene Fachkompetenzen und Perspektiven vereint. Mediziner/innen sollten in dieser Führungsebene vertreten sein, ohne jedoch zwangsläufig die Rolle des/der CEO zu übernehmen. Denn nicht jede/r Mediziner/in ist ein/e prädestinierte/ r Manager/in, und nicht jede/r Manager/in kann die Besonderheiten der medizinischen Realität in einem stationären Setting gut einschätzen und damit erfolgreich jonglieren. Entscheidend ist eine gut abgestimmte Führung, die unterschiedliche Sichtweisen integriert und schätzt. Nur so können Spitäler die aktuellen Herausforderungen anpacken und gleichzeitig eine hohe Versorgungsqualität sowie wirtschaftliche Stabilität sicherstellen.
1 schilling partners ag. (2023). Die Direktionen der 60 grössten Spitäler unter der Lupe.
https://www.schillingpartners.ch/de/news/die-direktionen-der-60-grossten-spitaler-unter-der-lupe/
2 Statistisches Bundesamt (Destatis). (2024). Krankenhäuser 2023 nach Trägern und Bundesländern. Krankenhäuser.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/eckzahlen-krankenhaeuser.html
3 Kaiser, F., Schmid, A., & Schlüchtermann, J. (2020). Physician-leaders and hospital performance revisited. Social Science & Medicine, 249, 112831. 4 Newsweek. (2024). World’s Best Hospitals 2024-Rankings: https://www.newsweek.com/rankings/worlds-best-hospitals-2024
Newsweek. (2024). World’s Best Hospitals 2024
Methodology: https://d.newsweek.com/en/file/469524/wbh-2024-updated-exAmtendedmethodology.pdf
5 Ranking: U.S. News & World Report. (2024) America’s Best Hospitals: the 2024-2025 Honor Roll and Overview. Best Hospitals.
https://health.usnews.com/health-care/best-hospitals/articles/best-hospitals-honor-roll-and-overview
Methode: U.S. News & World Report. (2024). Methodology: U.S. News & World Report 2024-2025 Best Hospitals: Specialty Rankings.
https://health.usnews.com/media/best-hospitals/2024-2025_Best_Hospitals_Specialty_Rankings_Methodology
6 Ranking: Stern. (2024). Stern-Ranking: Berliner Charité ist auf Platz 1 der deutschen Kliniken. Stern-Klinikliste 2024/2025.
https://www.stern.de/stern-studien/hier-finden-sie-die-top-100-kliniken-der-stern-klinikliste-34784820.html
Methode: Stern. (2024). Die Methode: Hier erklären wir den Weg zu den stern-Kliniklisten. Stern-Kliniklisten 2024/2025.
https://www.stern.de/stern-studien/die-methode–hier-erklaeren-wir-den-weg-zu-den-stern-kliniklisten–34824228.html