Wozu Arbeit – Diskussionsanlass Grossmünster

Letzten Samstag, 10. Juni 2023 hatte ich die Gelegenheit, an einer spannenden Podiumsdiskussion im Zürcher Grossmünster als Gastreferent dabei zu sein. «Wozu Arbeit?», ist eine hochrelevante Frage, die viele von uns umtreibt: Worin besteht der Sinn der Arbeit? Inwiefern erfüllt sie unseren Wunsch nach Selbsterfüllung und Entfaltung? Es sind Themen, die mich auch beruflich beschäftigen und die ich zusammen mit Nina Kurz, Konrad Schmid, Barbara Bleisch sowie Jean-Daniel Strub vertiefen konnte – gerne teile ich mit Ihnen meine persönlichen Gedanken dazu.

Bei meinen einleitenden Gedanken habe ich mich von den zwei Leitfragen inspirieren lassen: Nimmt uns die Arbeit unsere Freiheit und welche Rolle spielt der Lohn bei der Arbeit?

Meiner Überzeugung nach kann jeder in der Arbeit seine Freiheit finden. Arbeit treibt an und gibt uns Erfüllung, Selbstverwirklichung, Zugehörigkeit und Sicherheit. Arbeit verleiht uns Energie und Selbstbewusstsein. Doch wie viele von Ihnen haben schon gehört, dass Arbeit auch krank machen kann? Dass Arbeit auslaugen kann und man sich enorm freut, wenn sie endlich vorbei ist, damit man das tun kann, was man gerne macht. Aber ich wäre nicht so lange als Berater tätig in der Zusammenführung von der qualifizierten Führungspersönlichkeit mit der auf sie zugeschnittenen Position, wenn ich nicht zutiefst überzeugt wäre, dass es den «perfekten Match» zwischen Person und Aufgabe gibt. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass Arbeit nicht Energie raubt, sondern Energie gibt, was nach meiner Meinung jeder Mensch erfahren kann.

Sie werden sich fragen, gilt dies auch für die Menschen, die unsere schmutzigen Teller im Restaurant abwaschen? Ja, ich bin überzeugt, der ideale Küchenhelfer ist stolz darauf, Teil eines grossartigen Teams zu sein, das Gäste glücklich macht, und er leistet seinen Beitrag, damit das Kochteam sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Natürlich gibt es zweifellos auch Küchenhelfer, denen die Arbeit wenig Freude bereitet und keine Befriedigung bringt, sondern einfach nur eine Belastung ist, weil sie sich vor den vielen Essensresten auf den Tellern ekeln oder sich mit den Arbeitszeiten nicht abfinden können –  das kann ich mir ebenfalls vorstellen. Diese Person ist definitiv am falschen Ort. Weder Leidenschaft noch Erfüllung werden dabei empfunden. Es kann sein, dass diese Person es viel lieber draussen in der freien Natur mag, um Energie zu tanken. Aber nun liegt es an diesem selbst, den Schritt zu unternehmen und nach einer Aufgabe in der Natur draussen zu suchen und die Unzufriedenheit hinter sich zu lassen. Das bringt zunächst auch viel Unsicherheit mit sich.

Warum sollte diese Person keine passendere neue Arbeit finden, zum Beispiel in einem Försterteam? Eine Aufgabe, die den eigenen Neigungen und Werten entspricht. Eine Aufgabe, die es ermöglicht, dass man jeden Morgen voller Freude und Begeisterung aus dem Bett springt, um mit den ersten singenden Vögeln in der freien Natur als Waldarbeiter zu starten. Solche Arbeitsinhalte führen dazu, dass diese Person endlich die Energieengel bei der Arbeit spürt, die viel bewirken können. Selbst wenn die Tätigkeit oft mühsam ist, entsteht positive Energie. Man fühlt sich am richtigen Ort, an dem man seine Werte leben kann, und man ist von Menschen umgeben, die zu einem passen. So jemand geht nach der Arbeit auch erfüllt nach Hause.

Ob uns die Arbeit die Freiheit nimmt, kann nur jeder Mensch für sich beurteilen. Wenn dies der Fall ist, liegt es jedoch auch in der Verantwortung jedes Einzelnen, dies anzuerkennen und nach einer Arbeit zu suchen, die weniger von Energieräubern dominiert ist, sondern Energie gibt. So muss man nicht primär in der Freizeit den energiebringenden Ausgleich suchen.

Ich behaupte sogar, dass ein Hobby in der Regel genauso eine Tätigkeit ist, die wie eine Arbeit angesehen werden kann, nur dass wir damit nicht unseren Lebensunterhalt verdienen müssen. Ich erlaube mir, noch weiter zu gehen: Ich empfinde meine Arbeit wie ein Hobby, denn ich erhalte mindestens genauso viel Energie, wie sie von mir nimmt. Und so stehe ich für möglichst viel selbstbestimmtes Arbeiten ein, und das kann man sowohl in einem Küchenteam als auch in einem Försterteam finden.

Und somit komme ich zu der Frage: Welche Rolle spielt der Lohn bei der Arbeit? Der Lohn ist etwas Zentrales bei der Arbeit, aber auch hier bin ich überzeugt, dass der Lohn nicht der entscheidende Faktor für die Zufriedenheit mit der Arbeit ist. Was ist es dann? Es bedarf Ausgeglichenheit zwischen Arbeit und Entlöhnung. Ein Mensch sollte seine Entlöhnung auch mit anderen Personen in ähnlichen Positionen vergleichen können. Der Lohn sollte ausgewogen sein, um Fairness und Gleichheit zu gewährleisten. Er sollte auch die Arbeitsbedingungen und den Beitrag zur Gesellschaft berücksichtigen und soziale Ungerechtigkeit minimieren. Ich trete dafür ein, dass viele unserer Anreizsysteme für das Topmanagement ausser Kontrolle geraten sind und wir dringend zu moderateren Modellen zurückfinden müssen, die motivierende Anreize bieten und gleichzeitig messbar den individuellen Beitrag zum Erfolg belohnen.

Die Anreizsysteme sind heutzutage oft zu mächtig definiert. Wenn Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Migros-Konzerns oder der Raiffeisenbank-Gruppe fragen, werden Sie feststellen, dass dort genauso viele motivierte Mitarbeiter vorhanden sind, obwohl sie keine grossen Bonusmodelle haben, sondern hauptsächlich eine feste Entlöhnung. Ein gerechter Lohn kann als ein Lohn betrachtet werden, der die grundlegenden Bedürfnisse respektiert und die Würde der Arbeitenden anerkennt, indem er ihren Beitrag zum geschaffenen Wert würdigt.

Fairness und Gleichheit sind dabei wichtige Elemente. Doch die Frage nach dem gerechten Lohn wird uns wohl so lange beschäftigen, wie Arbeit entlöhnt wird.