Warum CEOs immer älter werden

schillingnews flash 2 | 2022 – Jugendlichkeit ist am Arbeitsmarkt im Trend. Junge Angestellte gelten als flexibel, kreativ und digital affin. Etwas differenzierter sieht die Situation in den Führungsetagen aus: So ist das Alter der Konzernchefs der grössten Schweizer Arbeitgeber in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

Im Jahr 2010 war der CEO der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber durchschnittlich 52 Jahre alt. Heute liegt das Durchschnittsalter bei 54 Jahren. Das Alter aller Geschäftsleitungsmitglieder hat sich im selben Zeitraum ebenfalls erhöht, von 50 auf 53 Jahre.

Eine vertiefte Analyse zeigt, dass sich hierbei die Altersverteilung in den zurückliegenden Jahren deutlich verschmälert hat. Lag die Altersspanne der CEOs 2010 zwischen 35 bis 67 Jahren, so hat sich diese 2022 auf 40 bis 67 Jahre verengt.

Was sind die Gründe für diese zunehmende Konzentration auf ältere Jahrgänge bei der CEO-Besetzung?

Sind Verwaltungsräte weniger mutig, um auf ihre firmeninternen, jüngeren Topführungskräfte zu setzen? Rekrutieren sie vermehrt ältere, erfahrene CEOs ausserhalb des Unternehmens? Bleiben CEOs länger im Amt, womit sich die Altersstruktur automatisch erhöht? Wie wirkt sich der gestiegene Frauenanteil in den Führungsetagen auf die Altersstruktur aus?

Die Daten des schillingreports vermitteln hierbei interessante Erkenntnisse, die für eine Interpretation des gestiegenen CEO-Alters relevant sind:

1.Die durchschnittliche Verweildauer der CEOs hat sich im relevanten Zeitraum 2010 – 2022 nicht wesentlich verändert und liegt über die gesamte Periode bei den 100 grössten Arbeitgebern zwischen 5 und 8 Jahren. Entsprechend lässt sich das höhere Alter nicht mit einer längeren Verweildauer der Führungskräfte erklären.

2.Gleichzeitig ist die Zahl der jüngeren Top-Führungskräfte bei den grössten Schweizer Arbeitgebern stark geschrumpft. Waren 2010 noch 58 CEOs jünger als 52 Jahre, sind es 2022 nur noch 23. Die Anzahl der über 60-jährigen CEOs hat sich im selben Zeitraum nur unwesentlich verändert. Die Verschiebung bei den Top-Führungskräften betrifft vor allem die untere Alterspyramide.

3.Auch das Alter der neu berufenen Firmenchefs ist in die Höhe geklettert. 2015 waren die neu gewählten CEOs im Durschnitt 49-jährig. 2022 beträgt ihr Altersdurchschnitt 54 Jahre.

4.Anders verhält sich die Situation bei den Frauen: Weibliche CEOs sind im Durchschnitt jünger als ihre männlichen Kollegen. Hier ist die Altersdifferenz allerdings weniger augenfällig. Da der Frauenanteil bei den Firmenchefs nach wie vor niedrig ist, fällt das jüngere Alter der weiblichen CEOs in Bezug auf die Altersstruktur aller CEOs im schillingreport jedoch nicht stark ins Gewicht.

5.Externe oder interne Rekrutierung spielt beim Phänomen der gestiegenen Seniorität in den Führungsetagen keine Rolle. Rund zwei Drittel der CEOs werde intern befördert, und der Anteil hat sich über den Zeitverlauf kaum verändert – auch nicht bei den über 60-jährigen CEOs. Es trifft also nicht zu, dass der CEO-Posten vermehrt durch ältere Führungskräfte besetzt wird, die ihre bisherige Laufbahn ausserhalb des Unternehmens durchlaufen haben.

«Die Ursachen für die gestiegene Seniorität in den Top-Führungsetagen sind vielschichtig», sagt Guido Schilling. Tatsache sei, dass zusehends langjährige Erfahrungen gefragt seien, um die zunehmende Komplexität der Wirtschaft zu meistern. Doch hindert eine derartige Besetzungspraxis nicht die Dynamik in der Entwicklung agiler Führungskonzepte, die wiederum wichtig wären, um die jungen Talente anzuziehen?

«Die Besetzung der CEO-Rolle ist ausgesprochen anspruchsvoll. Es wäre fatal, würde man in Zeiten des ausgeprägten Wandels und der damit einhergehenden komplexen Herausforderungen Rekrutierungsentscheide zu stark aufgrund des Jahrgangs fällen», betont Schilling. «Allerdings sind die Unternehmen gut beraten, ihre Pipeline an Top-Talenten für die Geschäftsleitung und CEO-Funktionen gut zu strukturieren.» Im Hinblick auf die anstehenden Wechsel in der Geschäftsleitung gelte es diese einerseits zu verjüngen. Andererseits sollten die potenziellen Kandidaten und Kandidatinnen in zunehmend wichtigen Schlüsselfähigkeiten wie Krisenmanagement, Strategieentwicklung und -umsetzung, Umgang mit komplexen Sachverhalten und Entscheidungsfindung gefördert werden», sagt Schilling.

Altersanstieg bei den CEOs ein internationales Phänomen

Die Entwicklung ist nicht nur auf die Schweiz beschränkt. Auch in den USA ist das Durchschnittsalter der CEOs in den zurückliegenden Jahren merklich gestiegen. In den 500 grössten amerikanischen Firmen liegt es bei 58 Jahren. 2018 waren sie im Schnitt 54 Jahre alt. In Deutschland beträgt das Alter der Chefs der umsatzstärksten kotierten Unternehmen 56 Jahre. Waren die hiesigen CEOs längere Zeit jünger als ihre ausländischen Kollegen, so hat sich ihr Alter mittlerweile der internationalen Entwicklung angeglichen.
Entsprechend war ein CEO-Wechsel in den zurückliegenden Jahren oftmals nicht mit einem Generationenwechsel verbunden: So hat Vincent Ducrot (Jahrgang 1962) vor gut zwei Jahren bei der SBB den beinahe gleichaltrigen Andreas Meyer (Jahrgang 1961) abgelöst. Auch bei Landis&Gyr fand mit dem CEO-Wechsel von Richard Mora auf Werner Lieberherr (Jahrgang 1961) keine Verjüngung statt. Peter Spuhler (Jahrgang 1959) übernahm 2020 aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen bei der strategischen und organisatorischen Weiterentwicklung von Stadler Rail AG erneut vorübergehend den Posten des Group CEO von Thomas Ahlburg (Jahrgang 1969). Anfang 2023 wird er seine Funktion an den 55-jährigen Markus Bernsteiner übergeben und sich wieder auf das Verwaltungsratspräsidium fokussieren. Bei Mettler-Toledo rückte im zurückliegenden Jahr der 57-jährige Patrick Kaltenbach als CEO nach – an Stelle von Olivier Filliol, der drei Jahre jünger ist als sein Nachfolger.

Die hier aufgeführten Beispiele bestätigen, dass deutlich seltener jüngere Top-Führungskräfte als in früheren Jahren auf den Chefposten berufen werden. Verwaltungsräte und Executive-Search- Spezialisten setzen bei der CEO-Wahl vermehrt auf Erfahrung und sind weniger bereit, Experimente einzugehen.

Die Erwartungen an die Firmenchefs sind gestiegen

Eine zentrale Ursache hierfür ist vor allem das erweiterte Aufgabengebiet und die gestiegenen Erwartungen an den heutigen CEO. Die Fähigkeiten, die er mitbringen muss, sind breiter als noch vor einem Jahrzehnt.

CEOs stellen das Bindeglied zwischen operativem Geschäft und der Strategie dar. Sie müssen den Verwaltungsrat sowie die Aktionäre auch in sehr anspruchsvollen Situationen davon überzeugen, die laufenden Veränderungen im Griff zu haben. Gleichzeitig sind sie gefordert, das Unternehmen durch digitale Umwälzungen zu manövrieren, die Mitarbeitenden durch klare Botschaften sowie konsequente und nachvollziehbare Handlungen zu führen und zu inspirieren. Sie sollten eine vielfältige und integrative Arbeitskultur fördern, gute Beziehungen zu verschiedenen Interessengruppen unterhalten und sich auf Themen wie Nachhaltigkeit fokussieren. Das sind Aufgaben, die neben sozialen Kompetenzen auch ein hohes Mass an Erfahrung erfordern. Hierfür prädestiniert sind reife Persönlichkeiten, die sich auch als Krisenmanager bewährt haben, und sich und ihre Ideen nicht dauernd beweisen müssen.

Diverse Krisen der jüngsten Vergangenheit haben die Suche nach Bewährtem auch in der Führungsspitze zusätzlich verstärkt. Kaum schien die Finanzkrise der Jahre 2008/09 überwunden, sahen sich die Firmen mit einer langjährigen Frankenstärke konfrontiert, die einschneidende Anpassungen erforderten. Die Aufhebung des Mindestkurses des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro durch die Schweizerische Nationalbank im Jahre 2015 hat den Druck auf exportorientierte Firmen zusätzlich erhöht. 2020 folgte schliesslich die Corona-Krise. Sie hat in verschiedenen Branchen – wie Detailhandel, Tourismus oder Gastronomie – zu grösseren Strukturanpassungen geführt. Und auch 2022 bleibt die Unsicherheit in Anbetracht der drohenden Energieengpässe, Lieferkettenprobleme, Ukrainekrise und gestiegenen Inflation gross.

Die herausfordernde wirtschaftliche Lage spiegelt sich an der Unternehmensspitze: Allein seit 2018 sind beinahe drei Viertel der CEOs der grössten 100 Firmen ausgewechselt worden. Nicht immer geht damit aber auch ein Generationenwechsel einher.

Erfahrungsschatz versus Risikobereitschaft

Jüngere und ältere CEOs bringen plakativ ausgedrückt unterschiedliche Fähigkeiten mit: Ein Firmenchef oder eine Firmenchefin Mitte 50 blickt in der Regel auf einen reichen Erfahrungsschatz, auf den sich die Führungskraft vor allem auch in schwierigen Situationen abstützen kann. Ein 45-jähriger CEO ist möglicherweise neugieriger und eher bereit, etwas Neues zu wagen.

Welche Eigenschaften gefragt sind, hängt stark davon ab, in welcher Phase sich ein Unternehmen befindet: Firmen, die einen Turnaround oder eine Transformation durchlaufen, werden eher auf eine externe und in der Regel ältere Führungskraft setzen. Ein solch fundamentaler Richtungswechsel erfordert ein hohes Mass an Expertise, Branchenkenntnissen und Durchsetzungskraft. Gefragt ist daher kein First-Time-CEO, dessen Potenzial schwierig einzuschätzen ist, sondern eine etablierte Führungspersönlichkeit mit viel Erfahrung in einer ähnlichen Situation.

Dies erklärt beispielsweise die Ernennung von Björn Rosengren (Jahrgang 1959) zum Konzernchef von ABB. Im März 2020 löste er Verwaltungsratspräsident Peter Voser ab, der das CEO Amt zuvor interimistisch übernommen hatte. Für seine Wahl sprach nicht zuletzt sein Leistungsausweis beim schwedischen Maschinenhersteller Sandvik und weiteren Firmen, deren Reorganisation er als CEO erfolgreich vorangetrieben hatte. Der Manager hat den Umbau des Konzerns zu einer dezentral, nach klaren Leistungsvorgaben geführten divisionalen Organisation in zügigem Tempo umgesetzt. Im Gegensatz zu seinem jüngeren Vorgänger Ulrich Spiesshofer (Jahrgang 1964) ist es ihm gelungen, den Konzern voranzubringen und die Erwartungen der Finanzgemeinde zu erfüllen.

Anders präsentiert sich die Situation von Firmen, die sich in einer Phase der Kontinuität oder Evolution befinden: Sie präferieren in der Regel eine interne Führungskraft. Denn diese kennt die Firma von Grund auf, ist mit dem Geschäftsmodell und der Konkurrenzsituation vertraut und befindet sich damit in einer guten Ausgangssituation. Nicht selten fällt die Wahl hierbei auf eine jüngere Person, welche die Firma innerhalb vorgegebener Bahnen voranbringen soll. So entschied man sich beispielsweise bei McDonalds Schweiz für eine junge, interne Führungskraft. Die 2020 ernannte Chefin Aglaë Strachwitz ist eine der jüngsten CEOs in Schweizer Grosskonzernen. Die Managerin mit Jahrgang 1981 startete ihre Laufbahn bei McDonalds vor über 15 Jahren in Österreich. Auch bei Coop setzte man mit der Wahl von Philipp Wyss (Jahrgang 1966) zum CEO auf Kontinuität. Wyss hat praktisch seine gesamte berufliche Karriere bei Coop durchlaufen.

Firmen sollten die Altersdiversität nutzen

Es spricht einiges für ältere Chefs, aber es gibt auch Erhebungen, die aufhorchen lassen. So zeigt eine im «Journal of Empirical Finance» veröffentlichte Studie für die USA, dass altersabhängige Pensionierungs-Regeln für Unternehmen und Aktionäre von Vorteil sind. Fehlen solche «Altersguillotinen», wirkt sich das zunehmende Alter des CEOs negativ auf den Firmenwert und die Betriebsleistung aus.

Insgesamt bestätigt aber auch die zitierte Studie, dass das Alter nicht per se weder Bonus noch Malus ist. Entscheidend sind vielmehr die Persönlichkeit einer Führungskraft und die Situation, in der sich eine Firma befindet. Verwaltungsräte, Nomination Committees und Executive Search Firmen setzen aufgrund des rasanten Wandels und der Notwendigkeit von Firmen, sich zu transformieren und neu zu erfinden, auf Bewährtes. Sie sind hierbei gut beraten, sich nicht nur auf den bisherigen Leistungsausweis und die Erfahrung eines Kandidaten oder einer Kandidatin abzustellen. Massgebend ist das Potenzial, das eine Führungskraft mitbringt. Und schliesslich gilt es, die gesamte Bandbreite an Know-how zu aktivieren – vor allem auch den Innovationsgeist der Jugend, der Firmen vorantreibt.