Spitalführung in und aus der Krise

schillingnews flash 2 | 2020 – Den Leistungserbringern im Gesundheitswesen kommt in der Covid-19-Pandemie eine besondere Rolle zu, denn sie bewegen sich in einem extremen Spannungsfeld: Nach rasantem Anstieg der Fallzahlen galt es im ersten Quartal 2020, einerseits die Organisation auf Krisenmodus umzustellen und andererseits die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Gleichzeitig standen sie im medialen Scheinwerferlicht und wurden mit einschneidenden und teils unrealistischen politischen Forderungen konfrontiert. Die zahlreichen Anspruchsgruppen, ihre vielfältigen Bedürfnisse und die hohe Frequenz der politischen Massnahmen und Entscheide machten einen schlagkräftigen Krisenstab in den Spitälern unabdingbar.

Wie haben sich dabei die Rollen von Aufsichtsgremien und Geschäftsleitung verschoben (oder auch bestätigt)? Wer nahm sich welcher Themen an? Wie setzte sich der Krisenstab zusammen? Welche Massnahmen trugen zur erfolgreichen Bewältigung bei und wie wirkt sich die Krise auf die bisherige Strategie aus?

Mit diesen und weiteren wichtigen Fragen befasst sich dieser schillingnews flash und trägt zentrale Erkenntnisse aus diversen Gesprächen mit Verwaltungsräten und CEOs zusammen.

Zusammenspiel von CEO/Geschäftsleitung und Verwaltungsrat/Präsidium

Im «Normalzustand» kommt dem Verwaltungsrat eine klar umrissene Rolle als strategischer Gestalter und oberster Controller des Unternehmens zu. Er ernennt auch die Geschäftsleitung und hat die Oberaufsicht über diese. Gemäss Auslegung dieser rechtlichen Vorgaben ist der Verwaltungsrat aber nicht nur für die strategische, langfristige Planung oder die Beaufsichtigung der Geschäftsleitung zuständig, sondern muss, wenn es nicht explizit in einem Organisationsreglement delegiert wurde, auch das Tagesgeschäft selbst und direkt übernehmen.

Es gibt heute in der Schweiz kaum eine grössere Organisation im Gesundheitswesen, bei welcher der Verwaltungsrat das Tagesgeschäft selbst führt. Somit ist die Aufteilung klar: Der Verwaltungsrat macht die strategische Planung, der CEO setzt diese gemeinsam mit der Geschäftsleitung um und führt das Tagesgeschäft. Nur: Was ist strategisch und was Tagesgeschäft? Und (wie) verschiebt sich dies in einer Krise? Die Grenzen sind hier fliessend und somit ist häufig eine unterschiedliche Trennung/Handhabung anzutreffen. Das Zusammenspiel dieser beiden Gremien hat insbesondere während der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen und wurde für viele Institutionen zu einem Lackmustest. Wie hat sich dieses Zusammenspiel ergeben, wer hatte welchen Hut auf und wie wurde die Krise gemeistert – und wie findet man wieder daraus heraus?

Anfang März 2020 galt es, rasch einen schlagkräftigen und funktionierenden Krisenstab zusammenzustellen. An dessen Spitze stand häufig (aber nicht immer!) der CEO, denn oft wird die Rolle als oberster Stabschef und Krisenmanager zur Chefsache erklärt. Dieser muss den Überblick behalten, rasch Entscheide fällen und gleichzeitig die laufende Kommunikation mit dem Verwaltungsrat sicherstellen. Die Politik auferlegte den Unternehmen teils unrealistische Vorgaben. Der CEO musste diese politischen Auflagen kanalisieren und die Interessen des Unternehmens gegen aussen vertreten. Zudem diente er dem Krisenstab als Coach in Bezug auf Personalfragen, die Finanzierung und die Sicherheit auf Versorgungsebene.

Kommunikation

Dem Verwaltungsratspräsidenten kam indes die Rolle eines wichtigen Sprechers zu: Gerade mit Blick auf die externe Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien übernahm der VRP eine bedeutende Rolle: Er musste glaubhaft vermitteln, dass die Versorgung der Bevölkerung auch in der Krise gesichert ist.

Eine funktionierende Kommunikation zwischen CEO und VRP war für die meisten Spitäler entscheidend, um die Krise gut zu bewältigen. Die Organisation musste aufgrund aktueller Entwicklungen und neuen politischen Beschlüssen laufend angepasst werden. Dabei galt es, auch die weiteren Mitglieder des Verwaltungsrats auf dem Laufenden zu halten und diese in wichtige Entscheide einzubeziehen. Im Detail war dies jedoch wegen der hohen Frequenz der Ereignisse nicht immer möglich. Deshalb musste der Verwaltungsrat den Anspruch zurückstellen, über alles immer im Detail in Kenntnis gesetzt zu werden, da dem Krisenstab hierzu oftmals schlichtweg die Zeit fehlte. Im Eiltempo mussten Reglemente (z.B. zu Minusstundenregelung, Überstunden, Arbeitszeiten, Schutzmasken) erstellt und verabschiedet werden, zu deren Inhalten der Verwaltungsrat meist nur grundsätzlich, aber nicht im Detail unterrichtet werden konnte. Die hohe Kadenz der Ereignisse und Entscheide im Verlauf der Krise erforderten aber eine hohe Verfügbarkeit des Verwaltungsrats und insbesondere des Präsidenten. Wer mehrere Mandate bei Leistungserbringern im Gesundheitswesen inne hatte, stiess an Grenzen.

Dies verdeutlichte einmal mehr, dass Verwaltungsräte es sich nicht leisten können, zu viele Mandate gleichzeitig auszuüben.

Erschwerend kam hinzu, dass die Verwaltungsräte häufig Informationen aus der Presse erhielten. Um Fehlinformationen und Missverständnisse zu vermeiden, musste der Präsident deshalb dafür sorgen, dass der Draht zum Gesamtverwaltungsrat nicht abriss.

Gerade mit Blick auf die externe Kommunikation übernahm der VRP eine bedeutende Rolle

Der CEO kümmerte sich dagegen um die interne Kommunikation mit der operativen Führung und der Gesamtbelegschaft. Auch hier war die grösste Herausforderung, neue Entscheide möglichst rasch und effektiv zu übermitteln. Denn für den Spitalbetrieb waren klare Anweisungen und Vorgaben entscheidend, um Friktionen und Unsicherheiten zu vermeiden und das Funktionieren des Unternehmens während der Krise zu gewährleisten.

Öffentlichkeit und Patienten galt es zu informieren, ja geradezu zu beruhigen, dass auch die allgemeine medizinische Versorgung während der Krise sowie im Übergang zum neuen Normalbetrieb jederzeit gewährleistet war. Im Fokus stand dabei zu verhindern, dass Patienten aus Angst vor einer Corona-Ansteckung auf einen wichtigen Spitaltermin verzichteten, was bestimmte Patienten einem weit höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt hätte. Zusätzlich war es wichtig, diese Patienten über die veränderten Rahmenbedingungen und Sicherheitsbestimmungen zu informieren, etwa bezüglich Maskenpflicht oder wie die Anreise und die Eintrittsformalitäten zu erfolgen hatten.

Während der CEO stark im Krisenstab eingespannt war, oblag es der Geschäftsleitung, das Business im Auge zu behalten und diese Perspektive gegenüber dem CEO geltend zu machen, sowie dafür zu sorgen, dass der Spitalbetrieb reibungslos weitergeführt wurde. Die Mitarbeitenden waren letztlich jene, welche die Weisungen und Vorgaben ausführen und diese Massnahmen auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen mussten.

Repräsentanten aus der Belegschaft waren idealerweise auch im Krisenstab vertreten, damit die Erfahrungen und das Feedback von der Basis auch seinen Weg in den Stab fanden.

Auch funktionierten diese Personen als Bindeglied zwischen Führung und mittlerem Management, um letzterem die verabschiedeten Massnahmen im Detail zu erläutern und Reibungen zu reduzieren. Dabei waren die Mitarbeitenden in Spitälern in hohem Masse auf klare Instruktionen und laufende Informationen durch den Krisenstab angewiesen, um allen Ansprüchen gerecht zu werden.

Für den Spitalbetrieb sind klare Anweisungen und Vorgaben entscheidend

Die Interaktion mit den Behörden

In mehreren Kantonen nahmen die politischen Behörden eine sehr aktive Rolle ein und erliessen eine Vielzahl von Verordnungen, welche die Spitäler vor grosse Herausforderungen stellten. Schwierig war insbesondere die Forderung nach der hohen Anzahl an verfügbaren Betten und Beatmungsplätzen, die für Corona-Notfälle bereitgestellt werden mussten. Hier wussten zahlreiche Spitalleitungen die Ärzteschaft nicht mehr hinter sich, da es an Ressourcen mangelte: Man konnte schlichtweg nicht weiter aufrüsten. Gerade der Verwaltungsrat nahm hier eine Vermittlerrolle zwischen den Realitäten in den Spitälern und vermeintlich unrealistischen politischen Begehrlichkeiten ein, um die Organisation zu unterstützen. Manche Spitäler beriefen einen runden Tisch mit der Spitalleitung und den politischen Entscheidungsträgern ein, um eine realistische Zahl festzulegen.

In Bezug auf die mediale Berichterstattung üben sich viele Vertreterinnen und Vertreter der Spitäler in Selbstkritik: Man hätte den Behörden und der Politik das mediale Terrain zu stark überlassen müssen. Aus Sicht der Spitäler braucht eine medizinische Krise realistische medizinische Lösungen und ist daher eine ärztliche Kommunikationsaufgabe und nicht eine politische. Die Spitäler mussten glaubhaft machen, dass sie nicht nur Covid-19 behandeln konnten, sondern nach wie vor auch jede andere Krankheit. Das erforderte viel Medienarbeit, um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen.

Die starke mediale Präsenz politischer Forderungen, die mit der Realität in den Spitälern kontrastierten, verschärfte die Dramaturgie der Krise für viele Spitäler zusätzlich.

Denn aus Sicht der Spitäler handelt es sich bei Covid-19 primär um ein ambulantes Problem: Nur ein Bruchteil der Patienten musste stationär bzw. intensivmedizinisch umsorgt werden und auch wenn der Aufwand für diese Patienten hoch und die Aufenthaltsdauer in der Regel lang ist, wäre es in Zukunft für die Spitäler wünschenswert, mehr Einfluss auf die Medien auszuüben, um ein realistischeres Bild der Sachlage zu vermitteln und die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Übertritt vom Krisenmodus in den Normalzustand

Die Schwierigkeit beim Übergang in den Krisenmodus bestand darin, dass bestehende Führungs- und Organisationsstrukturen, die sich im Normalbetrieb etabliert hatten, nicht tel quel auf den Krisenbetrieb umgemünzt werden konnten. Hier brauchte es eine saubere Triage, in der die Rollen aller Beteiligten eingehend analysiert und definiert wurden. Dies schuf Sicherheit und Planbarkeit, die zentral waren für das Funktionieren der gesamten Organisation. Ansonsten bestand die Gefahr mangelhafter Koordination und Kommunikation, was sich verheerend auf den ganzen Spitalbetrieb hätte auswirken können. Auch beim Übergang in den Normalbetrieb gilt es im Prinzip, dieselben Fragen nach der Führungs- und Organisationsstruktur zu beantworten.

Die Bewältigung der Krise war für viele Institutionen des Schweizer Gesundheitswesens auch ein innovativer Prozess mit zahlreichen Erkenntnissen bezüglich Organisation, Prozessen, IT und Führungskultur. Während Strategieprozesse in der aktuellen Krise vielfach auf Eis gelegt wurden, stellt sich nun die Frage, ob die «alten» Strategien in der Post-Covid-Zeit überhaupt noch Gültigkeit haben.

Die Krise hat aufgezeigt, dass die angepeilten Massnahmen relevant bleiben; die eingeschlagenen Strategien wurden vielfach validiert.

Dazu konnten die einen oder anderen Akzente gesetzt werden wie eine verstärkte Netzwerkstrategie mit einer bedarfsgerechten Bettenreduktion.

Die Corona-Krise wird allgemein zwar als grosse Herausforderung angesehen, jedoch hat sie das Zusammenspiel zwischen Verwaltungsrat und CEO/Geschäftsleitung geprägt, häufig gestärkt und die beiden Gremien zusammengeschweisst. Vor der Krise neu etablierte Strategien, wie Konzentration spezialisierter Leistungsangebote und stufengerechte Versorgungskonzepte in Netzwerken zwischen stationären und ambulanten Leistungsanbietern, wurden bestätigt und werden nun unverändert mit voller Kraft weiter umgesetzt.

Die CEOs der Leistungserbringer im Schweizer Gesundheitswesen können weiterhin auf die Rückendeckung ihrer Verwaltungsräte zählen.