Im neusten IMD World Talent Ranking liegt die Schweiz erneut an der Spitze. Eine wesentliche, aber oft unterschätzte Stärke des Schweizer Fachkräftestandorts liegt im Berufsbildungssystem. Gerade mit Blick auf die Verknappung des Fachkräfteangebots sind die Unternehmen gut beraten, weiterhin auf die Berufsbildung zu setzen.
«Die Durchlässigkeit des dualen Bildungssystems der Schweiz erlaubt es in hohem Masse, flexibel auf Veränderungen im Arbeitsmarkt und die Bedürfnisse der Wirtschaft zu reagieren.»
Guido Schilling
Die Schweiz bleibt der weltweit attraktivste Standort für Fachkräfte. Auch in diesem Jahr belegt sie im IMD World Talent Ranking den Spitzenplatz. Hinsichtlich der inländischen Talent Pipeline ist die Schweiz zwar hinter Singapur zurückgefallen, doch hat sie sich bei den Investitionen in die Talentförderung um zwei Plätze verbessert. Neben der hohen Lebensqualität verfügt die Schweiz über weitere Trümpfe wie hohe Löhne und – aus meiner Sicht ganz wesentlich – die Berufsbildung, die jedoch oft zu wenig Würdigung erfährt.
«Das duale Berufsbildungssystem bietet jungen Berufsleuten die systematische, fachliche und theoretische Weiterentwicklung. Noch heute gibt es CEOs von Schweizer Unternehmen, die mit einer Berufslehre gestartet sind.»
Dabei geniesst das Schweizerische Berufsbildungssystem international einen ausgezeichneten Ruf. In kaum einem anderen Land arbeiten die Akteure der Bildungs- und Arbeitswelt so eng zusammen wie in der Schweiz. Schätzungen belaufen sich auf jährlich über fünf Milliarden Franken, welche die Arbeitgeber allein in die Lernendenausbildung investieren. Und das hohe Engagement der Wirtschaft zahlt sich aus: Die Durchlässigkeit des dualen Bildungssystems der Schweiz erlaubt es in hohem Masse, flexibel auf Veränderungen im Arbeitsmarkt und die Bedürfnisse der Wirtschaft zu reagieren. Gleichzeitig bietet es jungen Berufsleuten die systematische, fachliche und theoretische Weiterentwicklung.
Noch heute gibt es CEOs von Schweizer Unternehmen, die mit einer Berufslehre gestartet sind, wie zum Beispiel Matthias Altendorf, CEO von Endress+Hauser. Der promovierte Physiker machte eine Mechanikerlehre und absolvierte seine gesamte berufliche Laufbahn im Unternehmen. Auch Bell-CEO Lorenz Wyss liefert mit einer Berufslehre als Metzger und konstanter Weiterbildung zum diplomierten Kaufmann, Techniker der Fleischwirtschaft und Master of Business Administration ein schönes Beispiel für eine Karriere Schweizer Art.
«Will sie ihren internationalen Spitzenplatz verteidigen, muss die Schweizer Volkswirtschaft sowohl die Ausbildung als auch den Zustrom der Besten sichern.»
Gerade mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung ist die Schweiz mit ihrem dynamischen dualen Bildungssystem hervorragend aufgestellt. Die Unternehmen sind gut beraten, ihr hohes Engagement für die Berufsbildung aufrechtzuerhalten. Denn der demographische Wandel und die Zuwanderungspolitik werden in Zukunft zu einer Verknappung des Fachkräfteangebots führen. Schon heute verzeichnet der Arbeitsmarkt ohne Migration demografiebedingt mehr Aus- als Eintritte. Die Unternehmen sind mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, der sich weiter akzentuieren wird, sobald die geburtenstarken Jahrgänge den Arbeitsmarkt ab Mitte der 2020er-Jahre im grossen Stil verlassen. Gleichzeitig hält die Zuwanderung nicht mit dem Wirtschaftswachstum Schritt. Die Schweizer Wirtschaft tut sich vermehrt schwer damit, Fachkräfte aus dem Ausland anzuziehen. Der internationale Wettbewerb um die besten Fachkräfte wird intensiver, denn auch andere Industrieländer bekommen die demografische Alterung zu spüren.
Mit der positiven Wirtschaftsentwicklung steigt die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften. Vor diesem Hintergrund gewinnen Massnahmen zur besseren Ausschöpfung des inländischen Fachkräftepotenzials zusätzlich an Bedeutung. Für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist die Schweiz zudem auf eine liberale Zuwanderungspolitik angewiesen, die einen barrierefreien Zugang zum europäischen Fachkräftemarkt erlaubt. Will sie ihren internationalen Spitzenplatz verteidigen, muss die Schweizer Volkswirtschaft sowohl die Ausbildung als auch den Zustrom der Besten sichern. Von der Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte und der attraktiven Ausgestaltung ihres Arbeitsmarkts hängt schliesslich die hohe Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Schweiz ab.