Die Talent Pipeline darf nicht versiegen

schillingnews flash 1 | 2019 – Der Bedarf von Schweizer Unternehmen an ausländischen Talenten und Führungskräften steigt. Die Zuwanderung hält jedoch nicht mit dem Wirtschaftswachstum Schritt. Für die Schweizer Wirtschaft ist die Zuwanderung ein entscheidendes Element zur Sicherung der nachhaltigen Entwicklung. Und betrachtet man die Tendenzen, laufen wir Gefahr, dieses wichtige Element zu gefährden. Wir alle sind gefordert, die Zuwanderung differenzierter zu betrachten und gute Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Bedarf der Wirtschaft entsprechen.

Foto: Rodion Kutsaev bei Unsplash

Die Schweiz wird global für ihre hohe Wirtschaftskraft bewundert. Trotz fehlender Rohstoffe mischt der Kleinstaat in vielen Branchen international ganz vorne mit. Ihre Binnenlage und ihr Mangel an Bodenschätzen zwangen die Schweiz schon früh, sich wirtschaftlich zu öffnen. Gerade auch dieser Offenheit verdankt die Schweiz ihre grosse Gestaltungs- und Innovationskraft. Sie hat erkannt, dass sie nur dann Grosses schaffen und erfolgreich sein kann, wenn sie sich die richtigen Arbeitskräfte ins Land holt. Das galt schon vor 150 Jahren beim Bau des ersten Gotthardtunnels und gilt auch heute: Ohne Zuwanderer hätte sich die Schweizer Wirtschaft nicht so positiv entwickelt. Besonders in Zeiten der Hochkonjunktur holte sie sich die Arbeitskräfte, die sie für ihr Wachstum brauchte.

«Die Schweizer Wirtschaft tut sich vermehrt schwer damit, Fachkräfte aus dem Ausland zu halten und anzuziehen.»

Umso mehr beunruhigt die aktuelle Entwicklung der Zuwanderung: Trotz Wirtschaftsboom wanderten 2018 nur rund 55’000 Personen mehr ein, als aus der Schweiz abwanderten. Der Wanderungssaldo lag somit weit unter den Rekordjahren. 2008 betrug er rund 100’000, 2013 noch etwa 80’000 Personen. Seither ist der Saldo jährlich gesunken. 2018 ist er zwar erstmals wieder um 3 Prozent gestiegen, die Zunahme fiel aber deutlich geringer aus, als aufgrund des Wirtschaftswachstums erwartet wurde. Gleichzeitig steigt die Abwanderung aus der Schweiz. Beides ist darauf zurückzuführen, dass die Wirtschaft in diversen Herkunftsländern ebenfalls gut läuft. Die Schweizer Wirtschaft tut sich folglich vermehrt schwer damit, Fachkräfte aus dem Ausland zu halten und anzuziehen.

Der Anteil ausländischer Topmanager steigt

Quelle: schillingreport 2019

Wie sieht derweil die Entwicklung der Führungsetagen in Schweizer Unternehmen aus? Die Daten aus dem aktuellen schillingreport zeigen, dass der Anteil der Schweizer unter den neuen Geschäftsleitungsmitgliedern in den letzten paar Jahren abgenommen hat, während der Anteil der Ausländer gestiegen ist. 2015 machten die Ausländer noch 41 Prozent aller neuen GL-Mitglieder aus, 2019 rückten mit 54 Prozent mehr Ausländer als Schweizer in die Geschäftsleitungen nach. Diesen Trend der letzten Jahre widerspiegelt auch das Total der GL-Mitglieder. Zwar hat noch immer mehr als die Hälfte aller GL-Mitglieder einen Schweizer Pass, doch die Ausländer holen auf. Inzwischen liegt ihr Anteil bei 45 Prozent. 2015 betrug ihr Anteil 41 Prozent. Die Bedeutung von ausländischen Topmanagern in den Geschäftsleitungen von Schweizer Unternehmen nimmt zu.

Viele Ausländer sind «Inländer»

Betrachtet man die Gruppe der Ausländer etwas differenzierter, ergibt sich ein spannendes Bild: Im schillingreport 2019 waren über zwei Drittel der ausländischen GL-Mitglieder bereits in der Schweiz oder in einem Schweizer Unternehmen tätig, bevor sie ihre aktuelle Position antraten. Diese Gruppe – nennen wir sie «Inländer» – macht 31 Prozent aller GL-Mitglieder aus, womit aktuell nur 14 Prozent der GL-Mitglieder als «Direktimport» in ihre heutige Position kamen. Unter den neuen GL-Mitgliedern finden sich 38 Prozent «Inländer». Nur 16 Prozent sind «echte» Ausländer.

«Ausländische Talente stellen eine unentbehrliche Ergänzung zum Schweizer Nachwuchs dar.»

Ein Grossteil der ausländischen GL-Mitglieder stösst folglich bereits früh in ihrer Karriere oder im mittleren und oberen Management zu den Schweizer Arbeitgebern. Diese entwickeln ihre Talente mit ausländischem Pass dann genauso weiter wie Schweizerinnen und Schweizer. Das bietet den Unternehmen erhebliche Vorteile, denn die «Inländer» sind bereits mit den kulturellen Gepflogenheiten der Schweiz oder des Unternehmens vertraut und finden sich daher leichter in der neuen Funktion zurecht. Zudem kann das Unternehmen eine bereits für sie tätige Person, ihre Erfahrung und ihre Kompetenzen besser einschätzen und ihr Potenzial gezielter ausschöpfen. Damit sinkt auch das Risiko einer Fehlbesetzung. Ausländische Talente stellen eine unentbehrliche Ergänzung zum Schweizer Nachwuchs dar. Das gilt in besonderem Masse für die stark vernetzte, im globalen Wettbewerb stehende Schweizer Wirtschaft.

Engpass für die Talent Pipeline

Quelle: schillingreport 2019

Steht der Anstieg von ausländischen Führungskräften in den letzten Jahren nicht im Widerspruch zur gesunkenen Nettozuwanderung generell? Ich meine nein: Der Anstieg von ausländischen Führungskräften sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie nicht mehr so einfach zu rekrutieren sind. Gerade der Anteil der für die Unternehmen so wichtigen «Inländer» stagniert (vgl. Grafik unten). Der Anstieg ausländischer Führungskräfte wird getrieben vom zunehmenden Fachkräftemangel im Inland und von der steigenden Nachfrage infolge der positiven Wirtschaftsentwicklung. Deshalb ist der Zugang zum internationalen Arbeitsmarkt und zu Fachexperten zentral für das Wachstum und die hohe Wertschöpfung der Schweizer Wirtschaft.

Schweiz büsst Standortattraktivität ein

Die Unternehmensberater von McKinsey & Company haben kürzlich in einer Studie über einhundert CEOs zur Standortattraktivät der Schweiz befragt. Ausgerechnet den wichtigsten Trumpf für Neuansiedlungen von Unternehmen droht die Schweiz aus der Hand zu geben: die Verfügbarkeit von Talenten und hochqualifizierten Arbeitskräften. Ein weiteres Defizit orten die CEOs in den relativ hohen Hürden für die Beschäftigung von Hochqualifizierten aus aussereuropäischen Ländern. Zudem gelingt es der Schweiz nur ungenügend, ausländische Talente, die ihr Studium an einer Schweizer Universität abschliessen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Laut Berechnungen von economiesuisse sind lediglich 10 bis 15 Prozent der Drittstaatenabsolventen nach Abschluss tatsächlich auf dem Schweizer Arbeitsmarkt erwerbstätig. Das stimmt mich nachdenklich. Wir sollten alles daran setzen, solche topausgebildeten Talente in unserem System zu halten. Der liberale Think-Tank Avenir Suisse fordert denn auch zu Recht, aussereuropäische Hochschulabsolventen in Bereichen, in denen Fachkräftemangel herrscht, von den Drittstaatenkontingenten auszunehmen.

Schweizer Arbeitsmarkt zunehmend ausgeschöpft

Diese Befunde zeichnen zusammen mit einer tieferen Nettomigration das Bild eines zunehmenden Engpasses für die Talent Pipeline der Schweizer Wirtschaft. Öffnen wir den Blick auf die interne Angebots- und Nachfrageseite des Schweizer Arbeitsmarkts, gibt das durchaus Anlass zur Sorge: Die Arbeitslosigkeit ist laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf 2.1 Prozent zurückgegangen. Zudem sinkt die Anzahl Stellensuchender, während die Zahl der offenen Stellen steigt. Demografiebedingt verzeichnet der Arbeitsmarkt ohne Migration mittlerweile mehr Aus- als Eintritte. Die Unternehmen sind mit einem zunehmenden Fachkräftemangel konfrontiert, der sich bald stark akzentuieren wird: Mitte der 2020er-Jahre rollt die Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge. Sie allein führt laut einer Studie der UBS dazu, dass dem Schweizer Arbeitsmarkt bereits in zehn Jahren Personal im Umfang von bis zu einer halben Million Vollzeitstellen fehlen wird.

«Bald werden deutlich mehr Manager in Rente gehen. Umso wichtiger ist es, den Zustrom der Besten zu sichern.»

Diese Entwicklung wird sich auch auf die Führungskräfte auswirken: Bald werden deutlich mehr Manager in Rente gehen. Umso wichtiger ist es, den Zustrom der Besten zu sichern, damit die Talent Pipeline nicht versiegt. Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sichern, sind die Unternehmen nebst allen Anstrengungen, das inländische Fachkräftepotenzial noch besser zu nutzen, stark auf die Zuwanderung angewiesen. Das bedeutet für die Schweizer Unternehmen nicht bloss, auswärtige Topmanager anzustellen, sondern Ausländer auch auf tieferer Führungsstufe zu rekrutieren, um sie gezielt intern zu entwickeln.

Mehr Wettbewerb erfordert gute Rahmenbedingungen

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Migration stellen einen wesentlichen Grund dar, weshalb die Schweiz als Firmenstandort an Attraktivität eingebüsst hat. Der anstehende Abgang der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt, der im grossen Stil erfolgen wird, stellt den Schweizer Arbeits- und Werkplatz zusätzlich auf eine harte Probe. Er muss wieder attraktiver werden, um im internationalen Wettbewerb die besten Fachkräfte halten und anziehen zu können. Dieser Wettbewerb wird intensiver, denn der Megatrend der demografischen Alterung macht nicht vor unseren Grenzen Halt, sondern umspannt den gesamten Globus. Die hohe Zuwanderung nach der Jahrtausendwende hat Ängste in der Bevölkerung hervorgerufen, welche die ausgeprägte Offenheit der Schweiz, die das Land in der Vergangenheit so stark gemacht hat, arg ramponiert haben.

«Wir sollten wieder etwas gelassener werden im Umgang mit der Zuwanderung.»

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Erwerbstätigen, die infolge der Personenfreizügigkeit aus der EU zugezogen sind, bereits ansässige Arbeitskräfte nicht verdrängen, sondern ergänzen. In einer Umfrage von BAK Basel Economics (2013) schätzten drei Viertel der befragten Unternehmer die Bedeutung von Arbeitnehmenden aus der EU als wichtig oder gar unverzichtbar für den Erfolg ihres Unternehmens ein. Nicht zuletzt sind schätzungsweise 40 Prozent der kumulierten Wachstumseffekte infolge der Bilateralen I auf die Personenfreizügigkeit zurückzuführen (BAK Basel Economics 2015). Wir sollten daher wieder etwas gelassener werden im Umgang mit der Zuwanderung und grosszügiger bei der Ausgestaltung der Drittstaatenkontingente – besonders wenn es sich dabei um «Inländer» handelt, die wir bereits früh in ihrer Laufbahn in Schweizer Unternehmen integrieren können.

Derweil schaden aktuelle Unsicherheiten dem Standort Schweiz. Wir müssen unsere wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit der EU mit einem institutionellen Abkommen auf eine solide Basis stellen, um der Schweiz einen möglichst barrierefreien Zugang zum europäischen Binnen- und Fachkräftemarkt zu sichern. Dabei müssen wir jedoch Vorsicht walten lassen, den Arbeitsmarkt nicht mit Regulierungen zu schwächen und seine bewährte Flexibilität zu gefährden. Gerade auch die Digitalisierung sollten wir als Chance begreifen, um den sich akzentuierenden Fachkräftemangel abzufedern, statt aus Furcht vor der globalen Entwicklung in Regulierungswut auszubrechen und unseren Wirtschaftsstandort zu destabilisieren. Gute Rahmenbedingungen werden ausschlaggebend sein, ob sich Firmen künftig dazu entscheiden, ihren Sitz in die Schweiz zu verlegen. Sie tun dies nur dann, wenn sie ausreichend hochqualifiziertes Personal vorfinden. Wir sollten Sorge tragen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Ein liberaler Arbeitsmarkt ist das beste Rezept dazu!

Quellen

  • BAK Basel Economics (2013): Bedeutung der Personenfreizügigkeit aus Branchensicht: Ergebnisse einer Unternehmensbefragung.
  • BAK Basel Economics (2015): Die mittel- und langfristigen Auswirkungen eines Wegfalls der Bilateralen I auf die Schweizerische Volkswirtschaft.
  • economiesuisse (2019): dossierpolitik #08 – Ausländische Studierende: Teure Ausbildung, unausgeschöpftes Potenzial
  • McKinsey & Company (April 2019): Switzerland wake up – Stärkung des Standorts Schweiz für international tätige Unternehmen
  • schillingreport (2019): Transparenz an der Spitze – Die Führungsgremien der Schweizer Wirtschaft und des öffentlichen Sektors
  • Staatssekretariat für Migration SEM (Februar 2019): Statistik Zuwanderung Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz
  • Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (Juni 2019): Die Lage auf dem Arbeitsmarkt im Juni 2019
  • UBS Outlook Schweiz (3. Quartal 2017): Generation Silber auf dem Arbeitsmarkt