Die Herbstsession steht im Zeichen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Räte beraten gleich mehrere Vorstösse, die auf dieses gesellschaftliche Anliegen abzielen. Um traditionelle Rollenbilder zu verändern und auch in der Arbeitswelt gleich lange Spiesse für Frauen und Männer zu schaffen, führt kein Weg an einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorbei.
«Wenn Frauen in gleichem Masse am Erwerbsleben teilnehmen können wie Männer, lassen sich eine Vielzahl von Unterschieden beseitigen und in der Gesellschaft verankerte Rollenbilder modernisieren.»
Guido Schilling
Was haben Vaterschafts- und Elternurlaub sowie Kinder- und Angehörigenbetreuung miteinander gemein? Diese Themen werden in der angelaufenen Herbstsession diskutiert. Und: Sie alle entsprechen wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnissen, die auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie abzielen. Die Problematik in der Schweiz ist bekannt: Noch immer bleiben viele Frauen dem Arbeitsplatz fern oder reduzieren ihr Pensum stark, sobald sie Kinder kriegen. Viele würden nach dem Mutterschaftsurlaub gerne wieder in einem höheren Pensum arbeiten, doch die hiesigen Umstände erschweren es ihnen. Laut dem Bundesamt für Statistik ist der Anteil Teilzeitangestellte, die ihr Pensum aufstocken möchten, in keinem anderen Land in Europa so hoch wie in der Schweiz. Das gilt besonders für Frauen: Jede zehnte wünscht sich ein höheres Pensum.
«Um Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, müssen vorhandene Hindernisse ausgeräumt werden, damit Mütter maximal am Erwerbsleben teilnehmen können.»
Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich ein gutes Zeichen, dass die besagten Vorstösse im Parlament diskutiert werden. Es zeigt: Politisch bewegt sich etwas. Auch der Bundesrat anerkennt die Bedürfnisse nach einem Vaterschafts- und Elternurlaub, lehnt die beiden Vorstösse jedoch mit dem Verweis darauf ab, der Aufbau eines bedarfsgerechten familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots habe für ihn Priorität. In der Tat lässt sich darüber streiten, wie sehr ein Vaterschafts- oder Elternurlaub zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beiträgt. Zweifelsohne wirksam und sinnvoll sind die Gesetzesvorlagen des Bundesrats, die eine Erhöhung der Steuerabzüge für die externe Kinderbetreuung sowie die Lohnfortzahlung bei kurzen Abwesenheiten und einen bezahlten Betreuungsurlaub für Eltern von schwer kranken oder verunfallten Kindern vorsehen. Diese Massnahmen fördern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur temporär nach der Geburt wie der Vaterschafts- und Elternurlaub, sondern nachhaltig. Zu begrüssen ist auch, dass das Impulsprogramm des Bundes zur Förderung familienergänzender Angebote der Kinderbetreuung abermals um vier Jahre bis 2023 verlängert wurde. Noch immer aber ist das Kinderbetreuungsangebot in der Schweiz so teuer, dass es sich für viele Familien finanziell nicht lohnt, wenn ein Elternteil – oftmals die Frau – sein Pensum erhöht.
Auch der Ausbau von Tagesschulen ist längst nicht überall so weit fortgeschritten wie in der Stadt Zürich. Schulmodelle, die im Einklang mit Erwerbstätigkeit stehen, sind weiterhin rar. Blockzeiten und ganztägige Betreuung ohne langen Unterbruch über Mittag sind für erwerbstätige Eltern und ihre Arbeitgeber jedoch von zentraler Bedeutung und eine wesentliche Voraussetzung, dass Mütter stärker am Erwerbsleben teilnehmen können. Als Unternehmer schmerzt es mich, wenn ich eine langjährige kompetente Mitarbeiterin deshalb verliere, weil in ihrer Wohngemeinde Kindergarten und Hort durch mehrere Hundert Meter und zwei stark befahrene Strassen voneinander getrennt sind, so dass ihr Kind den Weg nicht ohne Begleitung bewältigen kann. Das Beispiel zeigt leider, dass der Ernst der Lage noch nicht überall erkannt ist. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Schweiz eine gesamtheitliche Strategie zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie fehlt. Auch deshalb liegen isolierte Einzelvorstösse im Trend. Für fortschrittliche Verhältnisse braucht es ein besseres Zusammenspiel der vier Ebenen Staat, Unternehmen, Gesellschaft und Familien.
«Moderne und flexible Arbeitsmodelle für Frauen und Männer sind gefragt, um Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen.»
Von der öffentlichen Hand braucht es sowohl die richtigen Rahmenbedingungen wie die Einführung der Individualbesteuerung als auch ein höheres Engagement bei der Bereitstellung von Tagesschulen, Horts und Krippen. Diese Investitionen rechnen sich nicht nur für die Familien, sondern auch für den Staat selbst: Arbeiten Mütter in höheren Pensen, fliessen dem Staat mehr Steuereinnahmen zu, welche die Investitionen refinanzieren. Nebenbei werden das Wirtschaftswachstum und die Sozialversicherungen gestärkt. Auch die Arbeitgeber profitieren von den steigenden Pensen, denn der Fachkräftemangel spitzt sich zu. Unternehmen sind ebenfalls gefordert, ihren Teil dazu beizutragen, dass Mütter maximal im Erwerbsleben bleiben. Um Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, sind moderne und flexible Arbeitsmodelle gefragt, welche die Arbeitgeber partnerschaftlich mit ihren Mitarbeitenden gestalten. Selbst beim Elternurlaub könnten die Unternehmen ihre Arbeitgeberattraktivität erhöhen, indem sie von sich aus fortschrittliche, flexible und individuelle Lösungen bieten. Wichtig ist auch, dass Unternehmen die richtigen Signale an Mitarbeitende aussenden, indem sie Führungspositionen in einem Teilzeitpensum von 80 Prozent ermöglichen.
«Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist der Schlüssel zu einer ausgewogenen Gender Diversity.»
Der Diskurs um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dreht sich überwiegend um die Rolle der Frau. Gesellschaftlich sind wir leider noch nicht soweit, dass Mütter mit hohen Pensen jene Anerkennung erhalten, die ihnen zusteht. Traditionelle Rollenbilder sind noch immer stark in der Schweizer Gesellschaft verankert. Durch die Fokussierung auf die Frauen geht jedoch schnell einmal vergessen, dass auch bei den Männern ein Wandel stattfindet: Immer mehr Väter wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Und immer mehr Paare möchten sich die Familienarbeit teilen und gleichzeitig eine berufliche Karriere verfolgen. Dieses wachsende Bedürfnis manifestiert sich bereits bei den Pensen: Während die Erwerbsquote von Frauen mit Kleinkindern steigt, nimmt Teilzeitarbeit bei den Vätern laut der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung kontinuierlich zu. Diese Entwicklung wird dazu beitragen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von arbeitenden Müttern und von Teilzeit arbeitenden Vätern, die ihre Kinder betreuen, steigt.
Um die Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, muss das Augenmerk darauf liegen, vorhandene Hindernisse auszuräumen, damit Mütter maximal am Erwerbsleben teilnehmen können. Das erhöht auch ihre Chancen, Karriere zu machen und eine Führungsposition zu übernehmen. Für mich ist klar: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist der Schlüssel zu einer ausgewogenen Gender Diversity. Wenn Frauen in gleichem Masse am Erwerbsleben teilnehmen können wie Männer, lassen sich eine Vielzahl von Unterschieden beseitigen und in der Gesellschaft verankerte Rollenbilder modernisieren.