schillingnews flash 1 | 2020 – Generalisten oder Experten: Welches CEO-Profil liegt im Trend? Von den CEOs der grössten Schweizer Arbeitgeber machen die Generalisten die grösste Gruppe aus. Jedoch liegen Spezialisten bei den Unternehmen hoch im Kurs – aus guten Gründen.
Mit welchem Profil und Werdegang sind Führungskräfte zukünftig am besten für eine CEO-Position aufgestellt? Diese Frage gewinnt für Unternehmen im Zuge der immer komplexeren Herausforderungen und digitalen Transformation stark an Bedeutung. Traditionell stehen sich zwei CEO-Profile gegenüber: Generalisten und Experten. Letztere verfügen zum einen über einen Hochschulabschluss in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik – den sogenannten MINT-Fächern. Zum anderen zeichnen sie sich durch Branchenerfahrung und fundiertes Expertenwissen im Kerngeschäft der Wertschöpfung eines Unternehmens aus. Generalisten dagegen haben einen Hochschulabschluss in Volks-, Betriebswirtschaft oder Jura und bringen keine Expertise in der Wertschöpfung des Kerngeschäfts mit.
«Viele Unternehmen fordern von ihrer obersten Führung Branchenerfahrung und ein tieferes Verständnis der Wertschöpfung.»
Generalisten wird verschiedentlich nachgesagt, sie seien besser geeignet, um Unternehmen zu führen. Denn sie würden sich dank ihrer breiten und interdisziplinären Erfahrungen weniger in Details verlieren und wären besser in der Lage, den Gesamtüberblick zu bewahren. Aber: Stimmt das denn? Welche CEO-Profile bieten die besten Voraussetzungen, um die unternehmerischen Herausforderungen zu bewältigen?
Der Aufstieg der Generalisten
Der Background der Geschäftsführer hat sich seit den Anfängen der Industrialisierung stark gewandelt. Am Anfang war es der Produktionschef, der den Takt vorgab. Ihm folgten der Verkaufsdirektor und der Marketingchef, welche die Mehrheit der Unternehmen führten. Mit zunehmendem Kostendruck übernahmen dann die Sanierer das Steuer. Doch heute sind die Themen vielschichtiger und andere Profile sind gefragt. Bei den 114 grössten Schweizer Arbeitgebern verfügen laut schillingreport 2019 neun von zehn CEOs über einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Davon hat über die Hälfte einen Generalisten-Background in Wirtschaft/Jura und rund ein Drittel einen Experten-Background mit einem technisch-naturwissenschaftlichen Abschluss. Die Generalisten unter den CEOs stellen also anteilsmässig die klar grösste Gruppe.
Abschlüsse an Fachhochschulen und Universitäten
Spezialisten im Trend
Bei der Besetzung von CEO-Positionen stelle ich jedoch fest, dass Experten bei Kunden hoch im Kurs stehen. Viele Unternehmen fordern von ihrer obersten Führung Branchenerfahrung und ein tieferes Verständnis der Wertschöpfung. Laut Studien von Amanda Goodall von der Cass Business School in London schneiden Unternehmen besser ab, wenn sie von Persönlichkeiten aus dem jeweiligen Fachgebiet geleitet werden. Durch ihre profunden Kenntnisse der Organisation und des Kerngeschäfts können Spezialisten einschätzen, was eine Organisation zu leisten imstande ist und welche grundlegenden Transformationen notwendig sind. Das erlaubt ihnen, gleichzeitig realistische und herausfordernde Ziele zu formulieren. Bei strategischen Entscheidungen nehmen sie zudem eine langfristige Sichtweise ein und suchen weniger den schnellen, kurzfristigen Erfolg. Sie sind getrieben von Neugierde und weniger von extrinsischen Faktoren, die primär kurzfristige Erfolge belohnen. Durch ihr hohes Fachwissen sind sie stark inhaltlich interessiert und intrinsisch motiviert, einen nachhaltigen Mehrwert zu schaffen.
Besondere Fähigkeiten
Spezialisten zeichnen sich durch systematische, analytische und vernetzte Problemlösungskompetenzen aus. Sie denken ganzheitlich über Probleme nach und sind in der Lage, abstrakte Konzepte zur Problemlösung anzuwenden. Während sich Generalisten im Studium Wissen über theoretische Modelle aneignen, bieten die Technischen Hochschulen den Studierenden einen starken Anwendungs- und Projektbezug. Fachwissen, Erfahrung und Praxis schulen ihre Intuition, auf die sie bei der Entscheidungs- und Lösungsfindung zurückgreifen. Dank ihres Studiums in exakten Wissenschaften sind sie es gewohnt, ihre Arbeit mit hoher Gründlichkeit und Präzision auszuführen und Entscheide auch im Detail abzuwägen. Für Unternehmen, die in hohem Wettbewerb stehen, ist es wichtig, gerade diese Details – die kleinen Dinge – richtig zu machen. Experten zeichnen sich aber auch durch einen ausgeprägten Forschungs- und Innovationsgeist aus, was in einer schnell ändernden Businesswelt immer wichtiger wird. Je besser ein CEO den Business Case auch auf der technischen Ebene versteht, desto eher kann er Entwicklungen antizipieren und das Unternehmen erfolgreich danach ausrichten.
«Die „neuen“ CEOs werden durch ihren Strahleffekt in ihrem Expertengebiet das Selbstverständnis von Spezialisten verändern und sie zu einer Managerkarriere animieren.»
Ein Experten-CEO versteht die Kultur, das Wertesystem, die Anreize und Motivationen seiner Mitarbeitenden, da er selbst aus ihren Reihen stammt. Er ist daher in der Lage, die richtigen Arbeitsbedingungen und ein positives Unternehmensklima zu schaffen. Das erhöht die Zufriedenheit von Mitarbeitenden und senkt die Fluktuationsrate im Unternehmen. Hat ein CEO früher selbst im Kernbusiness gearbeitet und stammt er aus der eigenen Belegschaft oder aus einem anderen Unternehmen derselben Branche, nehmen die Mitarbeitenden ihn eher als «einen von uns» wahr. Das macht ihn für Mitarbeitende nahbar, schafft Vertrauen und verleiht ihm Authentizität. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Bereitschaft von Mitarbeitenden aus, selbst kritische Entscheide und einschneidende Massnahmen der Führung mitzutragen.
Trumpf für die Talentgewinnung
Die meisten CEOs und Personalleiter stimmen wohl überein, dass die Rekrutierung von qualifizierten Führungskräften und Schlüsselmitarbeitenden entscheidend ist für den Erfolg von Unternehmen. Von CEOs, die eine hohe Expertise in ihrem Feld erworben haben, kann erwartet werden, dass sie auch andere einstellen, die ebenfalls über hohe Expertise verfügen. Vor allem sind sie besser in der Lage, Expertise und Ideen von Schlüsselmitarbeitenden einzuschätzen und ihnen konstruktives Feedback zu geben, da sie über eine ähnliche Expertise verfügen. Die Ernennung eines ausgewiesenen Experten als CEO hat nicht nur einen positiven Effekt auf bestehende Mitarbeitende, sondern zieht auch potenzielle kompetente Mitarbeitende für das Kerngeschäft an, die sich vom Unternehmen und von der Führung vorteilhafte Arbeitsbedingungen erhoffen. Nicht zuletzt sendet ein Unternehmen damit ein starkes Signal gegen aussen und schafft Vertrauen bei Aktionären, Kunden, Partnern und Medien.
Nicht automatisch gute CEOs
Expertenwissen im Kernbusiness allein macht einen CEO längst nicht zu einem guten Manager oder zu einer guten Führungskraft. Managementkompetenzen und Führungserfahrung sind unabdingbare Voraussetzungen, die ein CEO mitbringen muss. Für Spezialisten heisst das, dass sie nach ihrem MINT-Studium das betriebswirtschaftliche Rüstzeug und Führungserfahrung in der Praxis erwerben müssen. Besonders gut eignen sich Erfahrungen in der Unternehmensberatung, in der sie Einblick in verschiedene Branchen und Businessmodelle erhalten. Ihr Know-how und ihre Führungserfahrungen vertiefen sie idealerweise in einer MBA-Weiterbildung an einer renommierten Business School. Dadurch können sie wichtige Auslanderfahrung sammeln und sich entscheidend vernetzen.
Noch ist das «neue» CEO-Profil rar
Die attraktive Kombination aus MINT-Studium, Berufserfahrung in der Unternehmensberatung und MBA können nur wenige CEOs von Schweizer Unternehmen vorweisen, wie zum Beispiel André Schnidrig. Der designierte Alpiq-Chef studierte Physik an der ETH Zürich und machte einen MBA am INSEAD in Fontainebleau. Nach verschiedenen Funktionen bei ABB/ALSTOM war Schnidrig 5 Jahre für McKinsey im Sektor Elektrizität und Erdgas tätig. 2010 heuerte er bei Alpiq an, stieg zum Leiter Renewable Energy Sources auf und hatte zuletzt als Leiter Generation International Einsitz in der Geschäftsleitung. Schnidrig kennt das Unternehmen also von der Basis her und erfüllt die beiden wesentlichen Kriterien eines Spezialisten: Er verfügt über einen MINT-Abschluss und zeichnet sich durch Branchenerfahrung und Expertenwissen im Kerngeschäft des Unternehmens aus.
«Wie Spitzensportler müssen Manager trainieren, um sich zu verbessern – indem sie sich zeitgemäss zu fachlichen und persönlichen Themen weiterbilden.»
Ein weiteres Beispiel liefert Sonova-CEO Arnd Kaldowski. Der gebürtige Deutsche absolvierte ein Masterstudium in Physik an der Technischen Universität Darmstadt und einen MBA am INSEAD. Die Weichen zur Managerkarriere stellte Kaldowski früh mit seinem Engagement bei der Boston Consulting Group (BCG) in München. Seine Spezialisierung auf die Medizinaltechnikbranche begann später bei Siemens Medical, bei der er als Senior Vice President Point-of-Care Solutions tätig war. Führungserfahrungen in verschiedenen Businessbereichen sammelte Kaldoswki beim ebenfalls in der Medizinaltechnik engagierten US-Industriekonglomerat Danaher, ehe er zu Sonova stiess. Vor seinem Antritt als CEO lernte Kaldowski das Unternehmen sechs Monate lang in sieben Ländern an der Basis kennen. Im Gespräch mit der Finanz und Wirtschaft sagte er dazu: «Um zu verstehen, was die Realität meiner hunderter Mitarbeiter im Vertrieb ist, muss ich halt beim Klinkenputzen mitgehen.» Und: «Je mehr meine Mitarbeiter befähigt und motiviert sind, auf ihrer Ebene Entscheidungen zu treffen und uns in die richtige Richtung zu navigieren, desto eher werden wir besser sein als die Konkurrenz.» Arnd Kaldowski offenbart mit seinen Aussagen jene auf Authentizität und Befähigung der Mitarbeitenden bedachte Führungsmentalität, die Experten wie auch Novartis-Chef Vasant Narasimhan oder Microsoft-CEO Satya Nadella prägen.
Stets am Ball bleiben – Weiterbildung ist Key
Wie Spitzensportler müssen Manager trainieren, um sich zu verbessern – indem sie sich zeitgemäss zu fachlichen und persönlichen Themen weiterbilden. Darauf achten Unternehmen bei der Selektion heute ganz besonders. Das widerspiegelt auch den Trend der letzten Jahre: Laut schillingreport 2019 hat der Anteil CEOs mit Weiterbildung seit 2007 von 38 auf 50 Prozent zugenommen. Schlüsselt man die Weiterbildungen auf, lässt sich in den letzten Jahren eine Verschiebung hin zu MBA/EMBA feststellen. Der Anteil CEOs mit einem solchen Abschluss ist gemessen an allen Weiterbildungen seit 2013 jährlich gestiegen, insgesamt um 16 Prozentpunkte von 53 auf 69 Prozent. MBA-/EMBA-Programme sind wie gemacht für Experten: Sie erhalten damit den letzten Mosaikstein zu einem gesuchten CEO-Profil.
Anteile CEOs mit Weiterbildungen
Weshalb in der Minderheit?
Ein Grund dafür, weshalb Experten trotz zunehmender Beliebtheit gegenüber den Generalisten die Minderheit unter den CEOs ausmachen, liegt in ihrem unterschiedlichen Werdegang: Während Generalisten ihr Studium häufiger mit dem Ziel antreten, dereinst Manager zu werden, haben Experten oft einen anderen Traumberuf vor Augen, der nicht im Management liegt. Sie möchten lernen, forschen und entwickeln. Das Interesse an einer Managementfunktion wird oft erst in der Praxis nach Beginn ihrer Berufslaufbahn geweckt. Und das gilt längst nicht für alle Studienabsolventen. Generalisten mit Wirtschaftsstudium geniessen einen Startvorteil, denn Spezialisten müssen die Extrameile gehen, um sich das Businesshandwerk in der Praxis anzueignen. Zudem erleben sie grössere Widerstände bei ihren Arbeitgebern, wenn sie einen MBA machen wollen. Ich erfahre immer wieder von Unternehmen, die befürchten, einen verdienten Experten in einer Schlüsselposition an die Konkurrenz zu verlieren und deshalb zögern, in einen MBA zu investieren. Dagegen bauen Unternehmen ihre Generalisten in den Talent Pipelines oft gezielt mit MBAs auf. Aus diesen Gründen ist der Kandidatenpool an Experten für CEO-Positionen begrenzt. Die Auswahl an geeigneten Generalisten ist deutlich grösser.
Strahleffekt der «neuen» CEO-Profile
Um das Potenzial an Experten mit Führungskompetenz zu vergrössern, müssen sie schon während des Studiums oder früh in ihrer Karriere für eine Managerlaufbahn sensibilisiert werden. Die ETH setzt zum Beispiel stark auf Projektmanagement in den Studiengängen und bietet Kollaborationen mit Partnern der Privatwirtschaft und anderen Bildungsinstitutionen. Hinzu kommt eine interessante Entwicklung an den Hochschulen: Bei den MINT-Studiengängen haben die Neueintritte seit 2009 um 27 Prozent zugenommen, während sie bei den Nicht-MINT-Fächern leicht rückläufig (4 Prozent) verliefen. Bis die grösser werdende Menge an Spezialisten dereinst für CEO-Positionen in Frage kommt, dürften jedoch gut und gerne zwei Jahrzehnte vergehen.
Bei vielen Unternehmen findet ein Umdenken statt, das noch vorhandene Stereotypen aufbricht: Vermehrt setzen Unternehmen auf spezifische Fähigkeiten ihrer CEOs, was insbesondere ein hohes Verständnis für die Wertschöpfung, komplexe Zusammenhänge und Lösungswege sowie Peoplemanagement ins Zentrum rückt. Folglich werden die klassischen CEO-Profile durch neue ergänzt. Die «neuen» CEOs werden durch ihren Strahleffekt in ihrem angestammten Expertengebiet das Selbstverständnis von Spezialisten verändern und sie dazu animieren, eine Managerkarriere ins Auge zu fassen.
Quellen
- Alpiq (2019): André Schnidrig wird neuer CEO von Alpiq. In: Financial News, Alpiq.
- Bundesamt für Statistik (2019): Studierende an den universitären Hochschulen.
- Goodall, Amanda H. (2009): Highly Cited Leaders and the Performance of Research Universities. Research Policy 38(7): 1079-1092.
- Goodall, Amanda H. und Bäker, Agnes (2015): A Theory Exploring How Expert Leaders Influence Performance in Knowledge-Intensive Organizations. In: Welpe, Wollersheim, Ringelhan, Osterloh: Incentives and Performance: Governance of Knowledge-Intensive Organizations. Springer International Publishing AG.
- Goodall, Amanda H. und Kahn, Lawrence und Oswald Andrew J. (2011): Why Do Leaders Matter? A Study of Expert Knowledge in a Superstar Setting. Journal of Economic Behavior and Organization 77(3) 265-284.
- Goodall, Amanda H. und Pogrebna, Ganna (2015): Expert Leaders in a Fast-Moving Environment. Leadership Quarterly 26(2): 123-142.
- Kühnlenz, André (2018): Arnd Kaldowski: Ein Firmenchef sucht die Bodenhaftung. In: Finanz und Wirtschaft.
- schillingreport (2019): Transparenz an der Spitze – Die Führungsgremien der Schweizer Wirtschaft und des öffentlichen Sektors.