Produktionsleiter aus fremden Branchen – Die Schweizer Medtech-Industrie denkt um

schillingnews flash 4 / 2017 – Medtech-Firmen produzieren trotz starkem Franken weiterhin in der Schweiz. Das verlangt schlankere und kosteneffizientere Produktionsabläufe. Meistern sollen diesen Wandel oft Führungs-persönlichkeiten aus anderen Industriesektoren. Weshalb branchenfremde Führungskräfte notwendig sind und woher sie kommen, schildern wir im neuen schillingnews flash.

Die Medizinaltechnik ist eine Branche, deren Stellenwert für die Schweiz nicht offensichtlich ist. Dabei gehört sie zu den bedeutendsten und exportstärksten Industrien des Landes. 2015 erwirtschafteten die 1’350 in der Schweiz ansässigen Unternehmen mit 54’400 Mitarbeitenden einen Umsatz von 14,1 Milliarden Schweizer Franken. Das entspricht einem Wachstum von 6 % und 2 % des Schweizer Bruttoinlandprodukts, heisst es in der letzten Branchenstudie der Schweizer Medizintechindustrie, die alle 2 Jahre vom Verband Swiss Medtech publiziert wird.

Noch gewichtiger als der Anteil am Bruttoinlandprodukt ist die Bedeutung der Branche für den Schweizer Aussenhandel. 2015 gingen 4 % aller Schweizer Exporte auf Produkte und Dienstleistungen aus der Medizinaltechnik zurück. Doch die Stärke im Aussenhandel ist auch eine Schwäche. Bei einer Exportquote von 75 % ist die Branche
besonders stark von der Währungssituation abhängig.

Das Beben, das die Auflösung des EuroMindestkurses am 15. Januar 2015 am Schweizer Werkplatz auslöste, 

bekamen dementsprechend auch die Medtech Unternehmen zu spüren. Der Erhalt des ohnehin schon relativ teuren heimischen Werkplatzes wurde für viele Unternehmen durch den starken Schweizer Franken noch erausfordernder. Die Angst ging um, dass Medtech-Unternehmen künftig ihre Produktion grösstenteils in kostengünstigere Standorte im Ausland verlagern müssen.

Knapp 3 Jahre nach dem Frankenschock ist alles in allem festzustellen, dass die hiesige Medtech-Industrie diese Unsicherheit gut überwunden hat. Die Exporte konnten konstant gehalten und in den  Kernmärkten USA und Deutschland sogar gesteigert werden. Der befürchtete Arbeitsplatzabbau in den Produktionsstätten trat bisher noch nicht ein.

Trotz dieser durchaus zufriedenstellenden Bilanz seit dem Frankenschock, hat die Rentabilität von Medtech-Unternehmen gelitten. Die steigenden Kosten, mitverursacht durch den vergleichsweise teuren Werkplatz Schweiz, lassen die Margen schmelzen. Der zusätzliche Preisdruck auf den Absatzmärkten nagt ebenfalls an der Profitabilität (siehe Abbildung). Handlungsbedarf ist unumgänglich.


Bekenntnis zum Standort Schweiz

Kein Wunder folglich, dass MedtechUnternehmen
eine Auslagerung ihrer Kapazitäten ins kostengünstigere Ausland in Betracht gezogen haben. So plante etwa die in Zug ansässige Belimed bereits vor der
Aufhebung des Euro-Mindestwechselkurses Anfang 2015 eine Produktionsauslagerung nach Slowenien. Die Verlagerung der Druckkammer-Produktion konnte jedoch dank einem umfassenden Kostensenkungsprogramm verhindert werden, sodass diese gut laufenden Produkte weiterhin in Sulgen
(TG) in der Schweiz hergestellt werden. Belimed ist kein Einzelfall. Gemäss dem SMTI-Branchenbericht planen 86 % der befragten Unternehmen künftig in den
Produktionsstandort Schweiz zu investieren.

Die Basler Straumann Gruppe hat aus ihrer
Produktionsstätte im Berner Jura innerhalb weniger Jahre eine der effizientesten der Zahnimplantate-Branche gemacht und baut dort auf Automatisierung und Insourcing. Die zum Weltkonzern Johnson & Johnson gehörende DePuy Synthes unterhält eine
bedeutende Anzahl ihrer Werke in der Schweiz und das Winterthurer Produktionswerk von Zimmer Biomet ist nicht nur das grösste des Unternehmens in Europa, es ist auch eines der produktivsten und das am stärksten automatisierte.

Diese Beispiele zeigen ein klares Bekenntnis der Branche zum Werkplatz Schweiz. Grund dafür sind wesentliche Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenzstandorten wie Deutschland, Irland, den USA oder Asien. Die Schweiz verfügt über hochqualifizierte Fachkräfte, ein rechtssicheres Umfeld und eine liberale Wirtschaftspolitik. Der unbürokratische Zugang zu Exportmärkten ist gesichert und das Land bietet Unternehmen zudem steuerliche Vorteile. Doch die höheren Produktionskosten müssen ausgeglichen werden. Das erfolgt oft über gezielte Investitionen und eine Steigerung der Produktivität. 

So feierte etwa der Medizintechnikprodukte-Hersteller B. Braun 2016 nach zweijähriger Bautätigkeit die Einweihung eines Produktionsausbaus in Eschholzmatt im Kanton Luzern. 32 Millionen Franken hatte das Unternehmen in modernste Produktionsabläufe und Automation investiert. Damit soll das vergrösserte Werk bis 2020 den Produktionsausstoss verdoppeln.

Das ist ein Beispiel dafür, dass die Branche
die eigenen Produktionsabläufe und Prozesse überdenkt. Aus dem SMTIBranchenbericht
wird ersichtlich, dass sich über 80% der Medtech-Hersteller auf die Verbesserung von Prozessen in der
Produktion und Logistik konzentrieren wollen.

Der Trend geht hin zu ganzheitlichen, globalen Produktionsprozessen, wie sie bereits aus der Automobilindustrie bekannt sind. Produktionsprozesse, die effizienter und effektiver sind: Lean Management, auch 

Statt dem Produkt steht zunehmend der
Service für den Kunden im Vordergrund.

schlankes Management genannt, hat seinen Ursprung in der japanischen Automobilindustrie und wurde in den 1990ern akademisch aufbereitet. Seither dient das
Modell vielen Unternehmen im Industrie und Automobilbereich als Vorlage. Beim Lean-Ansatz geht es darum, jegliche Verschwendung zu vermeiden und die
Ablaufeffizienz sowie Produktequalität zu maximieren, indem alle Prozesse entlang der gesamten Produktions- und Logistikkette optimal aufeinander abgestimmt werden. 


Gleichzeitig nutzen auf Lean Production
ausgerichtete Unternehmen Methoden, die regelmässige Effizienz- und Effektivitätsoptimierungen in der gesamten Wertschöpfungskette
sicherstellen.

Wenn wir davon ausgehen, dass sich medizinal-technische Unternehmen in der Supply Chain in einem Spannungsfeld zwischen Qualität, Kosten-effizienz und Dienstleistung befinden, verschiebt sich der Fokus in diesem Trilemma vom Faktor Kosten
auf die Dienstleistungserbringung. Statt dem Produkt steht zunehmend der Service für den Kunden im Vordergrund. Klar ist, die klassischen Denkmuster der Medizinaltechnik-Unternehmer haben ausgedient.

Dieser Fokus auf Produktionsprozesse und Kunden-orientierung macht sich auch in der Besetzung von Schlüsselpositionen bemerkbar. Die Anforderungen an Führungspersönlichkeiten im Produktionsumfeld innerhalb der Medtech-Branche verändern sich. Oft verfügen langjährige Führungskräfte zwar über eine grosse branchenspezifische Fachkompetenz, nicht aber über die notwendige Erfahrung und Methoden-kompetenz, um die Transformation der Produktion zu orchestrieren. Wir sehen immer mehr Unternehmen, die dank deutlicher Effizienz- und Produktivitäts-steigerung weiterhin in der Schweiz produzieren und die eine oder andere Führungsposition neu besetzen. Sie setzen dabei bewusst auf Know-how aus «lean» produzierenden Industrien und entsprechende Methodenkompetenz sowie Erfahrung in Changemanagement.

Lean-Methodenkompetenz ist gefragt
Im Frühjahr 2017 begleitete ich eine anspruchsvolle Stellenbesetzung bei einem führenden Medtech-Unternehmen. Das dazugehörige Auftragsbriefing sprach eine deutliche Sprache: Wir suchen jemanden, der Erfahrung hat in der Ausgestaltung von effizienten Prozessen und wirkungsvollen Strukturen, die mit dem Altbewährten möglicherweise nur wenig gemeinsam  haben, hiess es. 

Die neue Person sollte an der Steigerung der Effizienz sowie an der Reduktion der aktuellen Produktionskosten gemessen werden. Gleichzeitig soll der Kandidat Erfahrung in weitgehenden Veränderungsprozessen mitbringen und unsere ausgewiesenen Medtech-Fachexperten aus dem Unternehmen mit ins Boot holen.

Unsere Kunden suchen über die Mandatsvergabe an uns in solchen Situationen spezifisch in Branchen ausserhalb der Medizinaltechnik nach Schlüsselpersonen. Kandidaten für Führungspositionen in Bereichen wie Produktion, Supply Chain aber auch Service müssen vielfach Know-how aus anderen
Industrien mitbringen, aus Industrien, die innovative Lösungen für das Produktionsumfeld bereits verinnerlicht haben. Gefragt ist vermehrt Lean-Methodenkompetenz sowie Erfahrung in Changemanagement: Wie können neue Produktmodelle bei gleicher Qualität kosteneffizienter hergestellt werden? Die Ausrichtung auf die gesamte Logistikkette erfordert zudem ein standortübergreifendes Denken. Das heisst, dass sämtliche Produktionsthemen global
und ganzheitlich angegangen werden müssen.

Nach höheren Standards streben, ohne alles
Bestehende über den Haufen zu werfen.

Um den Marktgegebenheiten Rechnung zu tragen, sind international versierte, integrative Persönlichkeiten gefragt. Persönlichkeiten, die auch nach links und rechts schauen, die brauchbare und marktfähige  Produktionslösungen entwickeln und businessorientiert denken. Führungspersönlichkeiten, die nicht am Status Quo festhalten, sondern die Herstellung aus der Vogelperspektive von Anfang bis Ende überblicken.
Menschen, die nach höheren Standards streben, ohne alles Bestehende über den Haufen zu werfen.


Eine grüne Wiese

Im Dialog mit Vertretern der Branche zeigt sich zudem immer häufiger, dass die an das Lean-Modell angelehnten Produktionsabläufe Bedarf für neue Positionen schaffen. Aufgaben, die zuvor einem Produktionsleiter unterlagen, gehen nun auf in neuen
Abteilungen und Stellen, die sich um Themen wie «Manufacturing Excellence», Produktivitätssteigerungen, Prozessinnovation
oder die Supply-Chain-Strategie kümmern. Es ist unabdingbar, diese Stellen mit Persönlichkeiten zu besetzen, die in diesen Bereichen fundierte Erfahrung
mitbringen. Umgekehrt zeichnet sich die Medtech-Industrie für die branchenfremden Kandidaten als interessante Alternative ab. Sie ist eine grüne Wiese
für Personen aus der Automobil- oder

Maschinenindustrie, auf der sie ihre vorhandenen Kompetenzen gewinnbringend einsetzen und schnell grossen Mehrwert generieren können. MedtechUnternehmen operieren in einem zukunftsträchtigen und noch lange nicht übersättigten Markt. Die Bevölkerung wird immer älter, in den Industrieländern steigen die Gesundheitsausgaben pro
Kopf trotz des Kostendrucks kontinuierlich. Auch die Exporte in die BRIC-Staaten werden voraussichtlich
steigen. Meine Erfahrung dazu ist sehr positiv. So
reagierten branchenfremde Kandidaten nach einem ersten Überraschungsmoment mit grosser Begeisterung und Interesse. Der Umstieg ist attraktiv und weckt die Neugier. Ich freue mich, diese Entwicklung innerhalb der Medtech weiterzuverfolgen und meinen persönlichen Beitrag zum Wandel zu leisten.